Krause Bäumchen


Begibt man sich auf Spurensuche nach Bäumen mit einem Dendronym so findet man in den verschiedensten Landesteilen von Nordrhein-Westfalen unter   anderen auch den sogenannten "Krausen Baum“. Oftmals auch in verniedlichender  Form   als     "Krauses Bäumchen“, oder  in Mundart   als,   "Dat  kruuse  Böömke“ bezeichnet. Dendronyme  Bezeichnungen  des  "Krausen Bäumchens“  finden  sich  z.B.  noch  heute  in  Hennef, Krefeld, Wahn, Willich, Bergerhausen, Kevelaer, Wittlaer und Angermund. Leider existieren so manche dieser „Krausen Bäume“ physisch gar nicht mehr. Meist sind sie  schon vor längerer Zeit abgestorben. Im besten  Falle wurden sie durch Nachpflanzungen ersetzt und bleiben so für die Nachwelt in Erinnerung. In mündlichen und schriftlichen Überlieferungen und Redewendungen, Grenz- und Flurbezeichnungen, Straßennamen, sind sie jedoch noch immer präsent. So ist es ein Glücksfall, dass man mit dem "Krausen Bäumchen“ in Angermund ein lebendes und aufgrund seiner  sehr imposanten Erscheinung ein würdiges Beispiel eines  Dendronymen Baumes besitzt. Dieser alte Baum erinnert, als   lebender Zeitzeuge,  an  längst vergangene Zeiten  und  damit  an    die kulturhistorische Bedeutung Dendronymer Bäume.            

Das "Krause Bäumchen" in Düsseldorf-Angermund

Unweit der nördlichen Stadtgrenze Düsseldorfs, in Angermund, am Kalkweg, steht   eine zirka 300 Jahre alte Flatterulme, das sogenannte "Krause Bäumchen.“ Im Umfeld dieses Baumes und auch am Baum haben sich über hunderte von Jahren Ereignisse zugetragen, welche zum Teil historisch belegt sind. Für die heimische Bevölkerung des Angerlandes, aber auch die der angrenzenden Städte Düsseldorfs und Duisburgs   waren diese Ereignisse ein guter Nährboden für eine reiche Geschichten- und Sagenwelt. Hierbei vermischten sich reale Begebenheiten mit Sagen, Legenden und volkstümlich bedingtem Aberglauben. Ihren literarischen Niederschlag fanden diese zunächst mündlich überlieferten Sagen, Legenden und Geschichten später in Schriften und Jahrbüchern der Heimatliteratur, durch Heimatkundler, Schriftsteller und Dichter (Schmitz 1926, Heck/Hohmann 1967). An einigen Text- und Bildbeispielen soll nun im Kontext mit den geschichtlichen Hintergründen aus dem reichen literarischen Fundus über das „Krause Bäumchen“ berichtet werden. 

Vor hunderten von Jahren war das "Krause Bäumchen" am Kalkweg schon von weitem in der  freien Feldflur sichtbar. Die Landschaft bestand aus dem sogenannten Plaggenacker sowie einzelnen Höfen und Kat-Stellen. Der Kalkweg, war ein uralter Transportweg für den Transport von gebranntem Kalk. Die Transporte des Kalkes erfolgten, der damaligen Zeit entsprechend, in Pferdefuhrwerken. Von Wülfrath und Ratingen kommend führte der Weg über Lintorf, vorbei am "Krausen Bäumchen“ nach Wittlaer  Dort wurde der gebrannte Kalk in Schiffe verladen und  weitertransportiert. Der Kalkweg,  in Wittlaer noch heute als Kalkstraße bezeichnet, gehörte von   Wülfrath bis Wittlaer der sogenannten Kalkgilde (Kalkmeß). Eine im Jahre 1635 gegründete Interessengemeinschaft von Kalkbrennern, Kaufleuten und Schiffern, wobei Wittlaer der Sitz dieser Kalkgilde war. Auf der langen und beschwerlichen Wegstrecke war das "Krause Bäumchen“ für die Fuhrleute mit ihren Pferden eine sehr willkommene Rast-Station. Fand man doch  unter dem Kronendach mit den weit ausladenden Ästen Schutz vor Sonne und Regen.

 

Im Dreißigjährigen Krieg und in späteren Kriegswirren nutzten Truppen der unterschiedlichsten Couleur immer wieder diesen Weg als Heerstraße. Im Schatten alter Hainbuchen, den Vorläufern des „Krausen Bäumchens“, verweilten  die Soldaten  samt Anhang, Marketender, Magazinverwalter und Diener. Feldarbeiter nutzten den Weg zu ihrer Arbeit und rasteten nach schwerer Feldarbeit in der Mittagspause unter den Bäumen. Marodierendes Gesindel und Räuberbanden lauerten dort auf Reisende und raubten sie aus. Wurden sie erwischt und in einem Prozess zum Tode  verurteilt führte sie der Weg zum Galgen wiederum am „Krausen Bäumchen“ vorbei. In den alljährlich stattfindenden Fronleichnamsprozessionen war das „Krause  Bäumchen“ eine Station auf dem Prozessionsweg. Hier beteten die Gläubigen um ihr Seelenheil und empfingen am Speekreuz den priesterlichen Segen.

 

Rot markiert das "Krause Bäumchen" auf der Preußischen Kartenaufnahme von 1836-1850
Rot markiert das "Krause Bäumchen" auf der Preußischen Kartenaufnahme von 1836-1850

Quelle: Angermunder Kulturkreis. Historische Abbildungen des "Krausen Bäumchens"

Quelle: Tim Online. Überblendete Kartendarstellung mit Eintrag des Standortes des "Krausen Bäumchens"
Quelle: Tim Online. Überblendete Kartendarstellung mit Eintrag des Standortes des "Krausen Bäumchens"
Das "Krause Bäumchen" mit Speekreuz zur Blütezeit im Frühjahr 2014
Das "Krause Bäumchen" mit Speekreuz zur Blütezeit im Frühjahr 2014
Das "Krause Bäumchen", Stamm und Kronenansatz im Februar 2014
Das "Krause Bäumchen", Stamm und Kronenansatz im Februar 2014

Es war die Nähe zur Angermunder Richtstätte, zum Junkern-Friedhof sowie mehrere belegte Todesfälle im unmittelbaren Bereich des "Krausen Bäumchen“, welche die Phantasie  der Menschen derart anregte, dass der „Plaggenacker“ mit dem "Krausen Bäumchen“ als ein unheimlicher Ort wahrgenommen wurde. Die aus dieser Wahrnehmung heraus entstandenen Sagen, Geschichten und Überlieferungen sind im überwiegenden Maße unheilvoll und mystisch geprägt. Einen wesentlichen Anteil daran hat der Glaube an ein aus Pflanze und Mensch bestehendes  Anthropomorphes    Mischwesen, der  „Alraune“. Bereits vor Jahrtausenden wurde in alten Kulturen über sie berichtet. Bei den Persern führte sie den Namen Merdum Giah, bei den Hebräern Dudaim, die Chaldäer nannten sie Jabora und der jüdische  Geschichtsschreiber  Flavius Josephus bezeichnete sie als Baraas. Pythagoras nannte sie Anthropomorphos, d.h. von der menschlichen Gestalt.  Der Name Alraune stammt von den Weisen Frauen und Seherinnen  die man vor langen Zeiten als „Alrunen“ die   „Alleswissenden“ nannte. Als Heckenmännchen wurden sie im Angerland bezeichnet. Bis heute sind die verschiedensten Entstehungsgeschichten überliefert. Nach der Heiligen Hildegard von Bingen entstanden sie aus jenem Staube, der nach der Erschaffung Adams übrig geblieben war. Nach einer anderen, phantastisch-gruseligen Version bildeten sie sich aus den Körperflüssigkeiten unschuldig Gehenkter. Dieser Alraune dichtete man außergewöhnliche Zauberkräfte an, was bei den Menschen äußerste Begehrlichkeiten entwickelte. Eine Alraune zu finden und sie mitsamt Wurzeln dem Boden zu entreißen war jedoch äußerst lebensgefährlich. Mit Hilfe s Hundes, einem Zauberkreis und in der entsprechenden Stunde um Mitternacht  gelang dies zumeist. In dem Gedicht „Waldeinsamkeit“ von Heinrich Heine werden die Zauberkräfte von "Alräunchen“ näher beschrieben.

Männliches und weibliches Alräunchen im Mondlicht beim "Krausen Bäumchen"
Männliches und weibliches Alräunchen im Mondlicht beim "Krausen Bäumchen"

Waldeinsamkeit

Die klügsten Waldgeister sind die Alräunchen,

Langbärtige Männlein mit kurzen Beinchen,

Ein fingerlanges Greisengeschlecht;

Woher sie stammen, man weiß es nicht recht.

 

Wenn sie im Mondschein kopfüber purzeln,

Das mahnt bedenklich an Pissewurzeln;

Doch da sie mir nur Gutes getan,

So geht mich nichts ihr Ursprung an.

 

Sie lehrten mir kleine Hexereien,

Feuer besprechen, Vögel beschreien,

Auch pflücken in der Johannisnacht

Das Kräutlein, das unsichtbar macht.

 

Sie lehrten mich Sterne und Zeichen deuten,

Sattellos auf dem Winde reiten,

Auch Runensprüche, womit man ruft

Die Toten hervor aus ihrer Gruft.

 

Sie haben mir auch den Pfiff gelehrt,

Wie man den Vogel Specht betört

Und ihm die Springwurz abgewinnt,

Dir anzeigt, wo Schätze verborgen sind.

 

Die Worte, die man beim Schätzegraben

Hinmurmelt, lehrten sie mich, sie haben

Mir alles explizit – umsunst!

Hab nie begriffen die Schatzgräberkunst.

 

Auszug aus Heinrich Heine: Romanzero

 

 

Samen des "Krausen Bäumchens", farblich fototechnisch verändert. Die an den Rändern behaarten, pergamentartigen Früchte mit dem mittig liegenden Samen sind äußerst flugfähig. Vielleicht trugen sie ja zu dem Begriff "Hecktaler" bei.
Samen des "Krausen Bäumchens", farblich fototechnisch verändert. Die an den Rändern behaarten, pergamentartigen Früchte mit dem mittig liegenden Samen sind äußerst flugfähig. Vielleicht trugen sie ja zu dem Begriff "Hecktaler" bei.

Der Hecktaler

Vor vielen Jahren war es im Angerland Brauch, dass sich die Menschen der unterschiedlichen Ortschaften mit Spottnamen belegten. Die Lintorfer nannten die Angermunder spöttisch „Pillegänse“ und die Angermunder revanchierten sich umgehend bei den Lintorfern mit „Queckefressern“. Es wurde keine Gelegenheit ausgelassen diese Spottnamen bei passenden Anlässen anzuwenden, was oft zu  groben Streichen und im schlimmsten Falle auch zu Prügeleien führte. Opfer eines solch groben Streiches war ein für seine Habgier bekannter Lintorfer Queckefresser. An einem lauen Sommerabend saß er als einziger mit Angermunder Pillegänsen in   einer Angermunder Dorfschenke. Diesem habgierigen Bauer erzählte man nun allerlei  Spuk- und Gespenster-Geschichten und auch die Geschichte von dem Heckmännchen mit dem Hecktaler im "Krausen Bäumchen". Ein Mensch mit reinster Gesinnung bekäme vom Heckmännchen den Hecktaler. Dieser hatte die phantastische   Eigenschaft sich jeden Tag um das doppelte zu vermehren. Man müsste sich, um  diesen Hecktaler zu bekommen, nur bei Mitternacht unter das "Krause Bäumchen“   stellen und laut rufen:

                                               Heckmännchen sei mir gut,

                                               wirf mir in den Hut

                                               den Hecktaler rein,

                                               der täglich mehr wird sein!

Diese Geschichte nahm der habgierige Bauer zum Anlass, sich sofort zum "Krausen Bäumchen“ zu begeben und bei Mitternacht das Heckmännchen um den Hecktaler zu bitten. Doch kaum war der Ruf erfolgt, da kam es im "Krausen Bäumchen" zu Blitzen, Donnern und fürchterlichem Rauschen. In panischer Angst lief der Bauer zurück in die Dorfschenke, immer wieder rufend: „Er kriegt mich, er kriegt mich “. Dort erzählte er von seinem schaurigen Erlebnis. In dem Bewusstsein einem Lintorfer Queckefresser einen richtig groben Streich gespielt zu haben lachten die jungen Angermunder Pillegänse nur laut und schallend. Die alten Angermunder aber wiegten ganz bedenklich den Kopf.

Gekürzte Nacherzählung aus: „Der Heilige Brunnen“ von Heck/Hohmann 

Der Tod im "Krausen Bäumchen" Foto-Montage zur gleichnamigen Sage.
Der Tod im "Krausen Bäumchen" Foto-Montage zur gleichnamigen Sage.

Der Tod am Krausen Bäumchen

Es war im ausgehenden 19. Jahrhundert, an einem wunderschönen Sommertage, als der Bauer Pitter Radmacher in aller Frühe aufbrach und sich auf den Weg zu seinem Acker machte. Er beabsichtigte dort mit einer Schlaghacke sein Runkelrüben-Feld von Unkraut zu befreien. Auf seinem Wege dorthin achtete er ängstlich darauf dem „Krausen Bäumchen“ nur nicht zu nahe zu kommen. Als Angerländer Bauer waren ihm all die unheimlichen Geschichten mit den Todesfällen durchaus bekannt. Waren doch in den zurückliegenden Jahren bereits mehrere Menschen in der Nähe des von Geheimnissen umwitterten Baumes zu Tode gekommen. Im Jahre 1822 wurde der Ackerer Diepenbrock unter dem „Krausen Bäumchen“ vom Blitz erschlagen. Sechs Jahre später, im Jahre 1828, erlitt der Bauer Schenkel das gleiche Schicksal und 1856 wurden der Bauer Issel mit seiner Tochter ebenfalls tödlich vom Blitz getroffen. Diese Erinnerungen waren es, die Pitter Radmacher bei seiner schweren Feldarbeit in gleißender Sonne immer wieder durch den Kopf gingen. Doch erinnerte er sich auch an die alte Überlieferung von der Alraune, welche dem Besitzer unermesslichen Reichtum bescherte. Wenn diese sein Eigen wäre, dann hätte alle Plackerei auf dem Felde und alle Not ein Ende. Je mehr er darüber nachdachte umso größer wurde sein Verlangen die Alraune mit seiner Hacke aus dem Boden zu schlagen. Dann wäre er unendlich reich und sein beschwerliches Leben als Bauer hätte ein Ende. Was könnte er sich nicht alles leisten. Waren es nun die Gedanken an den bevorstehenden Reichtum oder die heiße Mittagssonne, welche Pitt Radmacher alle ängstlichen Gedanken vergessen ließ, jedenfalls lief er zum „Krausen Bäumchen“ um die Alraune auszuhacken. Zuvor schaute er noch zum Himmel ob auch nicht ein Gewitter aufzog, denn unter freistehenden Bäumen ist die Gefahr besonders groß von einem Blitz getroffen zu werden. Doch der Himmel war blau und klar und von Gewitter keine Spur. Nun wagte er den ersten Schlag in den Wurzelraum des „Krausen Bäumchens“. Da sah er schon die Alraune, sie schimmerte ihm entgegen. Doch während er sich bückte um sie ganz dem Boden zu entreißen, gab es einen fürchterlich Blitz und Donnerschlag und Pitter Radmacher sank tödlich getroffen zu Boden.

Gekürzte Nacherzählung aus: „Der heilige Brunnen“ von Heck/Homann

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Detailaufnahmen aus dem Stammbereich des "Krausen Bäumchen". Die Fotos sind mit Absicht unkommentiert und sollen der Phantasie freien Lauf lassen.

Et kruse Bömken

Do steiht am Krüzweg ´nen einzeln Boom

de Kron so breit on krus

On wied on sieden , wohen mer süht,

liegt do kein einzig Hus.

 

Bloß Heid und Feiler, dobei der Bosch –

De Boom, de ruscht on ruscht,

on wör dat butten och noch so stell,

wie wenn der Herwststorm bruscht.

 

Do es vor Tieden ´nen Galgen ´west.

on neits vor twölfe te ein,

dann jammert dat do, on klippt on klappt

van all de Dodenbein.

 

Dann treckt do vorbei ´nen langen Zog,

wie Für de Oogen rod,

em witten Hemd den Strick öm der Hals

on vürop geiht der Dod.

 

Dann trecken se dreimoal öm der Boom,

die enstens do gehang´n

doch schleit de eerste Stond en der Neit,

dann es der Spok vergang´n

Wilhelm Ernst Annas geb. 19. April 1859 zu Ratingen

Abschrift aus: Quecke Nr. 51 vom Oktober 1981

 

Foto Heinz Kuhlen 2016