Die Reformations-Linde in Baerl zeugt von einer jetzt bald 455-jährigen Erinnerungskultur zur Reformationsgeschichte in der Grafschaft Moers. Dass diese Erinnerungskultur über einen so langen Zeitraum mit Leben erfüllt wurde, ist das Verdienst vieler Menschen, welche in mündlicher, schriftlicher und bildlicher Art ihren Beitrag dazu leisteten. Allen diesen Personen gebührt ein herzliches Dankeschön. Ohne die Bereitstellung historischer Literatur und Fotos aus dem Archiv des Baerler Heimat- und Bürgervereins 1988 e.V.[1] und dem Archiv der evangelischen Kirchengemeinde wäre der Beitrag über die Baerler Reformations-Linde um Wesentliches ärmer. Stellvertretend für alle Personen sei hier der Geschäftsführerin Frau Brigitte Buchmann sehr herzlich gedankt.
Ein ganz besonderer Dank gilt jedoch Herrn Georg Kreischer und Herrn Hans-Peter Stermann. Beide haben in ihren Publikationen[2] über Baerl, die niederrheinische Heimat, Kultur, Mundart und Hof-Geschichte mehrfach auch über die Reformations-Linde und anderer Baerler Gedenkbäume berichtet. Diese Publikationen und die Gespräche mit den Herren Kreischer und Stermann waren eine große Hilfe und bereiteten sehr viel Freude. Die oben erwähnten Archive, entstanden in Jahrzehnten, zunächst als Privat-Archiv von Herrn Georg Kreischer. Sie wurden im Jahre 2013 aus Altersgründen dem Baerler Heimat- und Bürgerverein 1988 e.V. zur weiteren Pflege des Heimat- und Kulturgedankens anvertraut. Beide Archive können nach Rücksprache und Terminvereinbarung mit dem Baerler Heimat- und Bürgerverein e.V. 1988 bzw. dem Gemeindebüro der Evangelischen Kirchengemeinde genutzt werden.
[1] Internet-Adresse: www.dorfbaerl.de
[2] Im Anhang der Literaturliste
Es war am 28 Oktober 1520, als Graf Hermann als ältestes Kind des Grafen Wilhelm II. von Neuenahr und seiner Frau, der Gräfin von Wied, Erbtochter der Grafschaft Moers, geboren wurde. Als Spross einer der führenden rheinischen Adelsfamilien, welche mütterlicher- wie väterlicherseits weitgehend mit anderen Adelshäusern familiär vernetzt waren, genoss Graf Hermann eine standesgemäße Ausbildung zu einer humanistischen und reformatorischen Geisteshaltung. Dies hinderte ihn jedoch nicht, hin und wieder seinen Lastern, der Trunksucht und Spielerei, zu frönen. Erst mit dem Tode seines Vaters im Jahre 1552 und der damit ererbten Bürde der Regierungsgeschäfte wandelte sich sein Leben. Sein Wahlspruch dazu war: „Non plus, so nicht weiter“, gemeint war sein vorheriger Lebenswandel. Sein Hauptaugenmerk bei den Regierungsgeschäften lag neben der Sicherung der Grafschaft Moers gegen regelmäßige Überflutungen des Rheines auf der Verwaltung seiner Güter, der Einführung einer Gerichtsordnung, vor allem aber auf der Durchführung der Reformation. In den Jahren 1560/1561 erließ er für die Grafschaft Moers und seine Herrschaft Bedburg eine lutherisch-melanchtonische Kirchenordnung. In einem Gottesdienst der ehemaligen Moerser St. Bonifatius-Kirche entsagte er dem katholischen Glauben und bekannte sich offen zur Reformation. Dieser Bekenntniswechsel hatte auch Auswirkungen auf die sieben alten Gemeinden der Grafschaft Moers und somit auch für Baerl
Nach einer alten, legendären Überlieferung soll in Gesprächen zwischen Graf Hermann und dem Baerler Prediger Bernhard Scherer (Tonsor) unter einer alten Linde am Pastoratshaus in Baerl die Durchführung der Reformation besprochen und beschlossen worden sein. Dies führte zur Bezeichnung Reformations-Linde und war somit der Beginn einer jetzt bald 455-jährigen Erinnerungskultur.
Das alte Pastoratshaus, früher auch Wedenhof genannt, war seit alten Zeiten, mit einer Unterbrechung von 15 Jahren, bis zum Jahre 1932 ein ständiges Domizil der Baerler Pfarrer. Eine Zerstörung fand im Dreißigjährigen Krieg statt. Da wurde das Pastoratshaus von einer Soldateska kroatischer Söldner niedergebrannt. Erst 15 Jahre später konnte sich die völlig verarmte Gemeinde einem Wiederaufbau des Pfarrhauses zuwenden. Der damalige Pfarrer, Johann Neomagus, musste damals in Orsoy wohnen und betreute von dort die Baerler Gemeinde. Ein Aufbau des Pfarrhauses hat wohl um 1641 stattgefunden, denn nach Beschluss des Honschaftsgerichtes am 28. 05. 1641 wurde dem damaligen Kirchmeister Kiesendahl auf Antrag Bauholz aus dem Heesenbusch (Baerler Busch) zur Verfügung gestellt. In den Folgejahren kam es aufgrund des fortschreitenden Verfalls immer wieder zu notwendigen Bauarbeiten, bis man schließlich im Jahre 1931 mit dem Bau eines neuen Pfarrhauses begann. Am 16. März 1932 wurde dieser Neubau dann von der damaligen Pfarrersfamilie Greeven bezogen. Damit endete die mehrhundertjährige Geschichte des Pfarrhauses, als ständiges Domizil der Baerler Pfarrer. Nach einer vorübergehenden Vermietung des Pfarrhauses zu Wohnzwecken, verkaufte dann die Kirchengemeinde 1961 den Besitz mit den angrenzenden Ländereien. Der Erlös diente der Grundfinanzierung des neuen Gemeindehauses.
Das Pastoratshaus an der Steinschenstraße (8/8a im Herbst 2015.
Auf dem vorgelagerten Hof befinden sich zwei als Naturdenkmale ausgewiesene Bäume.
In der Liste der: "Naturdenkmale der Stadt Duisburg", vom 11. 12. 2012, wurde ein Bergahorn sowie eine Rosskastanie als besonders zu schützende Bäume aufgenommen. Als Schutzzweck gab man die Schönheit der Bäume an.
Sie tragen sie die Bezeichnungen:
HRB 3 Bergahorn
HRB 4 Rosskastanie
Die Rosskastanie pflanzte man am 11. Februar 1877
Als Johanna Charlotte Wilhelmina Kamp wurde sie am 20. 05. 1798 in Elberfeld geboren. Im Alter von 19 Jahren heiratete sie den Pfarrer Johann Gottlieb Nourney (1794-1880). Im Jahre 1825 folgte sie ihrem Mann als Pfarrersfrau nach Baerl am Niederrhein. In der Zeit von 1818 bis 1840 brachte sie elf Kinder zur Welt, wovon vier Kinder kurz nach der Geburt bzw. im frühen Kindesalter starben.
Neben ihren eigenen Kindern übernahm sie auch die Mutterstelle für mehr als 200 junge Mädchen, denen sie ihre mütterliche Liebe und Zuneigung zukommen ließ. Aufgrund ihrer literarischen Tätigkeit erhielt sie den Beinamen „Die dichtende Pfarrersfrau“. Eine frühe Veröffentlichung vom 31. Oktober 1860 gemeinsam mit ihrem Mann trägt den Titel: „Die Linde am Pfarrhause in Baerl in Wort und Bild“. Diese, als Festschrift zur dritten Säcularfeier der Reformation herausgegebene Broschüre, handelt von der alten, legendären Überlieferung, wonach Graf Hermann von Neuenahr-Moers und dem Baerler Prediger Bernhard Scherer in Gesprächen unter der Pastorats-Linde die Einführung der Reformation in der Grafschaft Moers beschlossen. Der Verkaufserlös dieser Festschrift war für eine einfache Gedenktafel an der Linde gedacht. Es dauerte jedoch noch bis zum 350-jährigen Reformationsjubiläum, als man am 25. Juli 1911 nach dem Gottesdienst eine Gedenktafel an der Linde aufstellte. Diese Tafel trägt als Inschrift die letzte Strophe von Charlotte Nourney´s Gedicht „Die Linde am Pfarrhause in Baerl in Wort und Bild“ s.u..
Am 20. September 1873 stirbt Charlotte Nourney. Ein Jahr nach ihrem Tode erscheint der Band: „Lieder gesammelt aus den Papieren der Frau Pastor Charlotte Nourney, und Rede an ihrem Sarge, gehalten von Präses Dr. Nieden. ihren Kindern, Enkeln, Urenkeln, Pflegetöchtern und Freunden gewidmet“ Ein Jahr darauf folgt dann der Band: „Nachtviolen“.
und nochmals in einer zweiten Auflage , im Jahre 1874. Der Titel "Nachtviolen" soll an die Nachtzeit erinnern, in welcher die etwa 135 Gedichte von Charlotte Nourney geschrieben wurden.
Hugo Otto, der niederrheinische Heimatdichter und als Förster ein profunder Kenner der heimischen Fauna und Flora, erwähnte in seinen Schriften mehrfach die Reformations-Linde in Baerl. So bezeichnete er in seinem Buch „Natur erzählt“ auf Seite 156 die Reformations-Linde als „großblätterige Linde“. Aufgrund dieser Beschreibung kann man mit an großer Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit davon ausgehen, dass es sich bei der Reformations-Linde um eine Sommerlinde gehandelt haben muss. In dem Kriegs-Heimatkalender 1944 erwähnte Hugo Otto in seinem Beitrag "Bäume als Naturdenkmäler im Kreise Moers" auf der Seite 121, dass Ableben der Reformations-Linde. Danach wurde sie, bereits altersschwach, mit morschem Stamm und kränkelndem Geäst, in einem rauen Herbststurm am 14. November 1940 umgeworfen. Zurück blieb ein Rest-Stumpf, mit der Gedenktafel.
In der gemäßigten Zone der nördlichen Hemisphäre ist die Gattung der Linde (Tilia) mit etwa 10 Arten vertreten. Darunter die beiden in Europa heimischen Arten der „Sommer-Linde, Tilia platyphyllos“ und der „Winter-Linde, Tilia cordata“. Wesentliche Unterscheidungsmerkmale sind die um zirka zwei Wochen unterschiedlichen Blüh-Termine, die Blüten, Früchte sowie die verschiedenen Blattgrößen beider Arten. Die Farben-Drucktafeln aus dem Jahre 1889 (Hempel, Wilhelm) sowie Tabelle 1 zeigen eine differenziertere Gegenüberstellung der Erkennungs- und Unterscheidungsmerkmale der Sommer- und Winterlinde
Gegenüberstellung der wichtigsten Erkennungs- und Unterscheidungsmerkmale von Sommer- und Winterlinde |
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Merkmale |
Sommer-Linde |
Winter-Linde |
Blätter |
groß, meist 8 bis 12cm lang; rundlich bis schief herzförmig und kurz zugespitzt. Scharf und regelmäßig gesägt. Oberseite lebhaft grün; unterseits heller. Blattstiel und Blatt beidseitig samtig behaart, mit weißen Achsel-bärten in den Nervenwinkeln Blatt-Unterseite. |
klein, meist 4-7 cm lang; breit herzförmig, zugespitzt. Fein und scharf gesägt. Oberseite sattgrün; unterseits blaugrün und in den Nervenwinkeln rotbraune Achselbärte. Blattstiel und Blatt oberseits kahl. Blatt ledrig. |
Blütenstand |
meist 3-blütig (2-5) |
5-7-blütig (bis 11) |
Früchte |
Nüsschen mit 4-5 starken Rippen. Kapselschale deutlich kantig, dick, fast holzig, nicht zerdrückbar. |
Nüsschen entweder ganz ohne oder nur mit schwachen Längsrippen. Kapselschale leicht zerdrückbar |
Tabelle 1
Unter den heimischen Baum-Arten besitzen Sommer- und Winter-Linde aufgrund ihrer vielen, hervorragenden Eigenschaften, einen ganz besonderen Beliebtheits- und Bekanntheitsgrad. In den Bereichen Ethnobotanik und Kulturgeschichte gibt es auf dieser Website, etliche Belege und Zeugnisse dieser Wertschätzung. So zum Beispiel aus: Religion, Mythologie, Symbolik, Brauchtum, Aberglauben, Rechtsprechung, Volksmedizin, Liedgut, Dichtkunst, Sagen und Märchen sowie in Literatur und Kunst, im Alltagsleben, in der Gartenkunst und als Nutz-Baum. Hinweise zur Namenskunde, Biologie und Ökologie, finden sich in dem jeweiligen Baum-Porträt.
Die Gedenktafel verblieb über Jahrzehnte allein am ehemaligen Pastoratshaus. Am 5.November 1972 pflanzte man in Baerl, auf dem
Gelände des Gemeindezentrums, an der Schulstraße, eine neue Linde. Dabei wurden auch die alte Gedenktafel und eine zusätzliche Tafel neu aufgestellt. Nun erinnern diese beiden Tafeln und die neue
Linde an die Geschichte der Reformation in der Grafschaft Moers und an die alte Reformations-Linde in Baerl.
Literatur-Quellen:
DAEBEL, J., 2012: Die Reformation in der Grafschaft Moers 1527-1581
HEMPEL, W.; WILHELM, K.; Die Bäume und Sträucher des Waldes, 1889
KREISCHER, G., 1998: Geschichte der Evangelischen Kirchengemeinde Baerl, Ev. Kirchengemeinde Baerl
KREISCHER, G., 2011: Baerl, ein liebenswertes Stück Niederrhein, Baerler Heimat-Verein
KREISCHER, G., 2011: 450 Jahre Ev. Kirchengemeinde Baerl, Presbyterium der Ev. Kirchengemeinde Baerl
OTTO, H., 1904: Im Wald und auf der Heide
OTTO, H., 1921: Natur erzählt, Ein Buch von der Heimat
STERMANN, H.P., 2012: Baerler Bauerngüter und ihre Besitzer
Internet-Quellen: