Teil 2 Kulturgeschichtliches Porträt


Die Mistel im Wandel der Zeiten

Hippokrates

Der griechische Arzt Hippokrates von Kos (460 bis 370 v. Chr.) und Vater der europäischen Heilkunde erwähnte die Mistel in seinen Schriften: "Hippocratis Coi medicorum omnium longe principis, opera" und soll sie  gegen Milzsucht (Hypochondrie) empfohlen haben.

Quelle: BEIC, BIBLIOTECA EUROPEA DI INFORMAZIONE ECULTURA
Quelle: BEIC, BIBLIOTECA EUROPEA DI INFORMAZIONE ECULTURA

Theophrastos

Griechischer Philosoph und Naturforscher, Schüler von Aristoteles. Mit seinen Werken zur Pflanzenkunde wurde er zum Vater der Botanik. Theophrastos gilt als erster Gelehrter, welcher sich ernsthaft mit der Baum- und Holzkunde beschäftigte. In seinem Hauptwerk „DE HISTORIA PLANTARUM“, in welchem er fünfhundert Pflanzenarten beschrieb, berichtete er zur Mistel: „Die Mistel entsteht immer aus Samen, welcher von den Vögeln verschlungen und mit ihren Exkrementen auf Bäume wieder ausgebracht wird“

Bild-Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/File: Theophrastus.jpg Büste und Titelbild seines Hauptwerkes "DE HISTORIA PLANTARUM"
Bild-Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/File: Theophrastus.jpg Büste und Titelbild seines Hauptwerkes "DE HISTORIA PLANTARUM"

Vergil

Vergil gilt als der wichtigste Autor der klassischen römischen Antike. Er war ein lateinischer Dichter und Epiker. In dem berühmten Heldenepos „Aeneas“ schildert Vergil, wie Aeneas sich mit Hilfe der Kumäischen Sibylle und einem Mistelzweig den Zugang zur Unterwelt verschaffte, um dort seinen verstorbenen Vater Anchises wiederzusehen. 

Als Aeneas Sibylle nach dem Weg in die Unterwelt fragt, weist diese ihn an, einen Mistel-Zweig zu suchen, welcher golden im Geäst des Baumes leuchtet. Nur mit diesem Zweig wird es ihm gelingen, den Weg in die Unterwelt anzutreten, aber auch den Weg zurück in die Welt des Lebens. Von den zwei Tauben seiner Mutter (Venus) geführt, findet Aeneas die Mistel und begibt sich mit der Seherin Sibylle auf die Reise in die Unterwelt. 

https://en.wikipedia.org/wiki/The_Golden_Bough_(mythology)#/media/File:The_golden_bough_by_Wenceslas_Hollar.jpg
https://en.wikipedia.org/wiki/The_Golden_Bough_(mythology)#/media/File:The_golden_bough_by_Wenceslas_Hollar.jpg

Als Aeneas und Sibylle an den Fluss Styx kommen, welcher die Toten von den Lebenden trennt, weigert sich der dort tätige Fährmann Charon, sie ans andere Ufer zu fahren, da Aeneas ein Lebender sei. Nach Vorzeigen des goldenen Zweiges setzt der Fährmann die Wanderer über den Fluss. Der in die Unterwelt führende Weg gabelt sich. Der linke Pfad führt in die Hölle und der rechte Pfad in das Elysium, dem Reich der Seligen. Vor dem Tore des Elysiums legt Aeneas den Goldenen Zweig vor die Schwelle. Nun darf Aeneas das Elysium betreten und trifft dort seinen seligen Vater Anchises. Dieser belehrt ihn über das Wesen der Menschen, dessen Schicksal und die himmlischen Gesetze seines Werdens. Reich mit Wissen beschenkt, nimmt Aeneas Abschied und kehrt zur Erde zurück. 

Charon, Sibylle und Aeneas am Ufer des Flusses Styx, Gemälde von Pietro Testa 1648-1649
Charon, Sibylle und Aeneas am Ufer des Flusses Styx, Gemälde von Pietro Testa 1648-1649
Aeneas, Charon und Sibylla mit dem Mistelzweig am Ufer des Styx
Aeneas, Charon und Sibylla mit dem Mistelzweig am Ufer des Styx
Aeneas und Sibylle in der Unterwelt (Wegegabelung zum Elysium) Konrad Houbraken
Aeneas und Sibylle in der Unterwelt (Wegegabelung zum Elysium) Konrad Houbraken
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jan_Brueghel_the_Elder_-_Aeneas_and_the_Sibyl_in_the_Underworld.jpg
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jan_Brueghel_the_Elder_-_Aeneas_and_the_Sibyl_in_the_Underworld.jpg

Diese, von Vergil in seinem Epos Aeneas im 6.Buch „Aeneas in der Unterwelt“ beschriebenen Handlung (Lebensstation) war und ist bis heute Gegenstand vieler bildlicher Darstellungen, Deutungen und Kommentare. Die Mistel mit ihrer Fähigkeit, die Unterwelt zu öffnen, wurde dadurch zu einer mythischen Pflanze mit außergewöhnlichen Eigenschaften. Sie wurde zum Synonym einer Zauberpflanze mit apotropäischen Wirkungen. Mit ihr ließen sich Tore und auch Herzen öffnen. Von vielen Autoren wurde sie in den mittelalterlichen Schriften und Kräuterbüchern als Liebes- und Zauberpflanze erwähnt. Vieles wurde dabei unkritisch übernommen und in eigenen Kompilationen fortgeschrieben und überliefert. Diese alten Überlieferungen (mit Anwendungsbeispielen) wirken noch bis heute in Ethno-Botanik, Aberglauben, Esoterik und im Brauchtum nach.


Caius Plinius secundus d. Ältere

Römischer Gelehrter, Verwaltungsbeamter, Flottenkommandant. Neben vielen Büchern über das Kriegswesen, Geschichte, Grammatik und Rhetorik schrieb er eine 37 Bände umfassende Naturgeschichte, „Naturalis historiae libri XXXVII“. In Band 16, Botanik: Waldbäume, behandelte er auf verschiedenen Seiten die Mistel. So schrieb er u.a. zur Biologie, über die Wirtsbäume (Eichen) und die Verwendung der Mistel als Viehfutter. Er erläuterte die Samenausbreitung durch Vögel (Drossel und Ringeltaube) und gab eine genaue Anleitung zur Herstellung von Vogelleim aus den Mistelbeeren.

Ausführlicher erläuterte er: die Bewunderung der gallischen Druiden, welche nichts für heiliger halten als die Mistel, vor allem, wenn sie auf einer Eiche wuchs. Zitiert nach Plinius: „Sie glauben nämlich wirklich, dass alles, was an den Eichen wächst, vom Himmel komme und ein Zeichen dafür sei, dass der betreffende Baum von einem Gott selbst erwählt sei. Man findet aber die Mistel (in Gallien) sehr selten; und hat man sie gefunden, so wird sie mit großer Ehrfurcht abgenommen, vor allem am sechsten Tag des Mondes, ein Tag, an dem der Mond schon genügend Kräfte hat und noch nicht halbvoll ist. Sie nennen die Mistel in ihrer Sprache „Die alles Heilende.“ Sie bereiten nach ihrer Sitte das Opfer und das Mahl unter dem Baum und führen zwei weiße Stiere herbei, deren Hörner da zum ersten Mal umwunden werden. Der Priester, bekleidet mit einem weißen Gewand, besteigt den Baum und schneidet die Mistel mit einem goldenen Messer die Mistel ab: Sie wird mit einem weißen Tuch aufgefangen. Dann schlachten sie die Opfertiere und bitten den Gott, er wolle sein Geschenk denen, welche er es gegeben hat, zum Glück gereichen lassen.“ 

Die Schilderung dieser heiligen Handlung wurde von nachfolgenden Autoren in vielen Schriften über Jahrhunderte hinweg immer wieder weiter verbreitert. Das Ritual selber wurde zum Gegenstand unzähliger bildlicher Darstellungen.


Die Mistel in der Mythologie

Snorri Sturluson, Isländischer Skalde und Historiker

Titelblatt der Druckausgabe der Snorri Edda von 1666
Titelblatt der Druckausgabe der Snorri Edda von 1666

Die Balder-Mythe aus der Edda (Snorri Sturluson (1179-1241)

In der germanischen Mythologie nimmt der Tod Balders eine zentrale Stelle ein. Die Mythe ist aber nur in den literarischen Quellen Skandinaviens überliefert. Den ausführlichsten Überblick über Balder gibt Snorri Sturluson in seiner Edda.

Balder, der Sonnengott aus dem Göttergeschlecht der Asen und der zweite Sohn von Odin und Frigga, ist der Beste der Götter. Von sehr schönem Antlitz und solch einer hellen Hautfarbe, das ein Leuchten von ihm ausgeht.  Er ist der weiseste der Asen, der sprachgewandteste, der freundlichste und alle loben ihn.  

Balder- Abbildung aus einem Kinderbuch, Quelle: Alräunchens Kräuterbuch 1882
Balder- Abbildung aus einem Kinderbuch, Quelle: Alräunchens Kräuterbuch 1882

Balder plagten jedoch unheilverkündende Todes-Träume. Odin wollte Gewissheit über die Träume seines Sohnes, er sattelte sein Pferd und ritt in das Totenreich. Dort weckte er eine tote Seherin und verlangte von ihr eine Deutung.

Quelle: Edda Snorri Sturluson
Quelle: Edda Snorri Sturluson

In Angst um ihren Sohn und, um Balder zu schützen verlangte Frigga, von allen Lebewesen und allen Elementen einen Eid abzulegen, Balder nicht zu verletzen. Nur die westlich von Walhall wachsende Staude Mistiltein wurde der Eid nicht abgenommen, weil sie zu jung erschien. Freudvoll erstattete Frigga im Asgard den Bericht und die Götter erprobten die Unverwundbarkeit Balders, sie schleuderten Speere, Pfeile und Äxte nach Balder, ohne ihn zu verletzen. 

Der tückische und einäugige Loki, der Dämon im Reich der Asen, neidete dem Balder seine strahlende Schönheit. Er erfährt durch eine listige Täuschung Friggas von der Verwundbarkeit Balders durch die Mistel. Als die Götter zur Unterhaltung Speere und Pfeile nach dem unverwundbaren Balder warfen, drückte Loki dem blinden Hödur einen Mistelzweig in die Hand. Mit Hilfe von Loki schleudert der blinde Hödur den Mistelzweig nach Balder, dieser durchbohrt und tötet ihn. 


Misteln und die Väter der Botanik

Johannes von Cube

Texthinweis unter  (NOMINA ET EXPLICATiO) auf die Namen: Gemeine Mystel und Affolter und auf die Klebeeigenschaft "Glutinum" und der Verwendung als "Vogelleim".
Texthinweis unter (NOMINA ET EXPLICATiO) auf die Namen: Gemeine Mystel und Affolter und auf die Klebeeigenschaft "Glutinum" und der Verwendung als "Vogelleim".

Hildegard von Bingen

Die heilige Hildegard empfängt  Visionen, notiert diese und reicht sie einem Mönch zur Niederschrift weiter.
Die heilige Hildegard empfängt Visionen, notiert diese und reicht sie einem Mönch zur Niederschrift weiter.

Hieronymus Bock

Hieronymus Bock 1498-1554, Theologe, Mediziner, Lehrer und Botaniker
Hieronymus Bock 1498-1554, Theologe, Mediziner, Lehrer und Botaniker

Pietro Andrea Mattioli

Adamus Lonicerus

Auflistung über die Verwendungsmöglichkeiten der Mistel im Kräuterbuch von Adamus Lonicerus
Auflistung über die Verwendungsmöglichkeiten der Mistel im Kräuterbuch von Adamus Lonicerus

Misteln im Aberglauben


Die Mistel in der Volkskunde

Die Mistel in Sagen, Märchen und Legenden

Warum die Misteln auf Bäumen wachsen

Frigga, die verzweifelte Göttin, verfluchte den Mistelbusch wovon Loki den Zweig zu dem todbringenden Pfeil abgetrennt hatte. Als ein Samenkorn des Mistelbusches vom Wind fortgetragen wurde, da weigerte sich das Feld, ihm eine Ruhestätte zu gewähren. Das Samenkorn flog weiter im Wind des Herbstes und kam zu einer Wiese; sie sagte: „Bei mir ist keine Stätte; ich habe Blumen und Kräuter genug.“ Und es war keine Scholle und kein Staub zwischen den Steinen, die dem Samenkorn vergönnt hätten, Wurzeln zu schlagen. Der Wind nahm es mitleidig und führte es ruhelos durch die Lande. Da stand in dem tiefen Tale ein alter Baum; der wusste noch nicht, was sich in Asgard zugetragen hatte, und gewährte dem Samenkorn Rast. Der Wind wehte es hinauf auf einen Ast. Und seitdem wächst die Mistel auf den Bäumen!

Quelle: Von Blumen, Märchen, Sagen und Legenden aus der Pflanzenwelt, Verlag H.Schaffstein
Quelle: Von Blumen, Märchen, Sagen und Legenden aus der Pflanzenwelt, Verlag H.Schaffstein

Die Mistel

Als der Schöpfer nach und nach die Samen vom hohen Himmelssaal auf die Erde streute, damit diese ein Garten Gottes werden sollte, blieb der Mistel-Samen auf den Zweigen der Pappeln, Birken, Fichten, Äpfel- und Birnenbäumen hängen. Bald entspross aus ihm auf den Zweigen der Bäume ein immergrünes, strauchartiges Gewächs mit zungenförmigen Blättern und Erbsen-großen, kugelförmigen, weißen Beeren. Die Menschen wunderten sich sehr über die sonderbare Pflanze, die zwischen Erde und Himmel schwebte.

Die Leute erzählen sich noch heute folgende Geschichte: Die Göttin der Schönheit hatte einen besonderen Liebling, das war eine Königstochter mit Namen Amilla. Als diese Hochzeit feiern wollte, beabsichtigte die Göttin der Schönheit, ihr zu ihrem Ehrentag eine ganz besondere Freude zu machen. Sie übersandte ihr ihren kostbaren Perlen-Schmuck; den sollte sie an ihrem Ehrentage tragen. Hochbeglückt empfing Amilla diesen Schmuck und wurde von alt und jung bewundert; denn das köstliche Perlen-Geschmeide verlieh ihr ein feenhaftes Aussehen. Nach Ablauf des Festes aber übergab Amilla mit Dank das kostbare Geschmeide der Nixe, damit sie dasselbe der Göttin wieder zustellen sollte. Da aber die Göttin der Schönheit mit Wohlgefallen bemerkt hatte, dass alle Welt ihren Liebling in seinem herrlichen Schmuck bewunderte, sandte sie den Schmuck durch die Nixe der Königstochter zurück, um ihr denselben zum dauernden Andenken an ihren Hochzeitstag zuzueignen. Auf dem Wege aber wurde die Nixe von der Habgier und dem Neide erfasst; sie wünschte den köstlichen Schmuck zu besitzen, der so bewunderte Schönheit verlieh. Da sie wusste, dass den Perlen diese Kraft eigen war, so brach sie kurzentschlossen die wunderbaren Perlen aus und ersetzte sie durch falsche. So überbrachte sie den Schmuck der Amilla. Die Göttin der Schönheit aber hatte den Vorgang belauscht und als die Nixe heimkam und, zur Rede gestellt, die Tat mit dreister Lüge leugnete, wurde die Göttin sehr böse. Sie entriss der ungetreuen Nixe die Perlen und warf sie in den Weltenraum hinaus. Der Blumen-Gott aber ließ da, wohin die Perlen trafen, nämlich auf den Zweigen unserer Bäume, zur Warnung vor Lüge und Untreue den Mistel-Strauch entsprießen, an dem die zungenförmigen Blätter an die Lügen-Zunge der Nixe und die erbsengroßen Beeren an die entwendeten Perlen erinnern sollen.  

Quelle: A. Meerkatz, Blumensträuße Unsere Pflanzen in Gedichten, Sagen und Märchen 1910

EKKEHARD (Roman von Josef Viktor von Scheffel)

In dem Roman von J. V. Scheffel beobachten der Ziegenhirt Audifax und die Gänsehirtin Hadumoth eine alte Waldfrau bei dem heidnischen Vorgang des Mistelräucherns. Sie berichteten Ekkehard von diesem Vorfall, worauf Ekkehard dies seiner Herrin, der Herzogin von Schwaben erzählte. Über den Aberglauben ihrer Untertanen empört, ließ die Herzogin die Eiche fällen und die Waldfrau aus dem Lande vertreiben. 


Misteln im Brauchtum


Misteln in der Medizin


Misteln als Kunstmotiv