Viscum album L. ssp. Viscum album L.
Weissbeerige Laubholz-Mistel, Vogelmistel
Außer den bereits oben genannten Namen gibt es eine Vielzahl weiterer Volksnamen, bei welchen das Namensattribut sich aus verschiedenen Kategorien ableitet. Einige Beispiele aus über 130 Namen mögen das verdeutlichen:
1. Buschartiges, nestähnliches Aussehen, das im Volksglauben mit Hexen und Teufeln in Verbindung gebracht wird: Wiltbesen, Hexenbesen, Teufelsbesen, Teufelsast, Marentacken, Alpranken, Trudennest.
2. Die schmarotzende Eigenschaft: Baumkraut, Tannenhur, Tonanngrün, Woss an Ascht.
3. Die schleimige Eigenschaft der Beeren: Schnudderbeeren, Snut, Snobbenkoil, Kleb, Laim Kraigensnueder, Boimlaim, Vogellym, Vogelschleb.
4. Das immergrüne Aussehen: Wintergrün, Winterlaub, Isgewächs, Kuhpalm, Geisspeck.
5. Die Mistel als Heilpflanze: Heil aller Schäden, Fallkraut, Heilig Kreuzholz.
6. Sonstige Namen: Vogelnisterich, Krähenfuß, Schmaluder.
Sandelholzgewächse, Santalaceae
Misteln, Viscum L.
Laubholz-Mistel, Viscum album ssp. album
Tannen-Mistel Viscum album ssp. abietis
Kiefern-Mistel Viscum album ssp. austriacum
Es sind die wintermilden Lagen Europas, in welchen die Mistel beheimatet ist. Das Verbreitungsareal ist im Wesentlichen identisch mit den Grenzen des europäischen Kontinents, einschließlich der Inseln Korsika und Sizilien. Im Südosten verläuft sie in Griechenland über die europäischen Grenzen hinaus bis nach Kleinasien und dem Iran. Im Norden verläuft die Grenze etwa durch den 55.Breitengrad, im Westen und Süden erfolgt die Begrenzung durch den Atlantik bzw. durch das Mittelmeer. Die Verbreitung ist im Wesentlichen abhängig vom Vorkommen empfänglicher Wirtsbäume sowie von optimalen Licht- und Wärmeverhältnissen. Für die Ausbreitung ist das Vorkommen bestimmter Vogelarten notwendig.
Die Mistel ist für die Keimung und Verbreitung ihrer Samen auf bestimmte Vogelarten angewiesen. Erst durch das Aufpicken der häutigen, zäh-lederigen Fruchtwand durch Vögel ist die Mistel nach Freisetzen des Samens in der Lage zu keimen. Vogelarten, wie z.B. die Misteldrossel oder Wacholderdrossel, picken die Beeren als Ganzes, verschlucken sie und scheiden den Samen dann nach Darmpassage wieder aus. Nachteil dieser Art der Verbreitung ist, dass der überwiegende Teil der Samen auf für die Keimung ungeeignete Stellen fällt und so abstirbt. Seidenschwanz und Mönchsgrasmücke, weisen ein anderes Fress-Verhalten auf, das für die Ausbreitung und Keimung der Samen wesentlich effektiver ist. Sie schlagen die Beeren mit dem Schnabel bis die Frucht-Haut der Mistel-Beeren aufplatzt. Danach fressen sie lediglich den zähen Frucht-Schleim. Da in diesem Schleim der Samen eingebettet ist, welche die Vögel nicht aufnehmen wollen, sind sie gezwungen, die Samen aus dem Schleim auf geeignete Wuchs-Orte abzustreifen. Dies geschieht zumeist auf den Oberflächen von Zweigen und Ästen des Wirts-Baumes. Dabei wird der Same mit dem Schleim fest angeheftet und ist so für die Keimungs-Phase mit optimalen Wachstumsbedingungen bestens platziert.
Es gibt nicht nur Vogelarten, welche für die Verbreitung der Misteln sorgen, sondern auch Vögel (Meisen, Kleiber), welche die Samen durch Aufpicken zerstören und damit den Samen für die Keimung unbrauchbar machen.
Die von Vögeln im Winter verbreiteten Samen beginnen im Frühjahr ab März zu keimen. Mit zunehmender Temperatur und Lichtintensität beginnt das sichtbare Wachstum, dabei schiebt sich ein grüner Keimblattstamm (Hypokotyl) aus dem Samen und wächst gekrümmt zur Rinde des Wirtsbaumes. Dieses, entgegen anderen Pflanzen untypische, andersartige Keimlingsverhalten wird als lichtfliehend (negativ phototroph) bezeichnet. Der krummwachsende Keimling (Hypokotyl) entwickelt sich unabhängig von der Schwerkraft (negativ gravitrop) und führt manchmal freie Wachstumsbewegungen aus, bis die Spitze des Keimlings auf die Wirtsrinde trifft. Dabei kommt es bei der Keimlingsspitze zur Ausbildung einer Haftscheibe. Aus dem Zentrum der Haftscheibe entwickelt sich dann ein sogenannter Primärsenker (Primärhaustorium, Saugorgan). Dieser Primärsenker benötigt in der Regel mehrere Wochen, bis die Rinde des Wirtsbaumes durchwachsen ist. Ab diesem Zeitpunkt beginnt die parasitische Phase. Zwei Monate nach der Fixierung der Haftscheiben erreicht der Primärsenker das Kambium, wächst jedoch nicht mehr aktiv in das Holz des Wirtes, sondern wird umwallt und passiv in die Leitungsbahnen eingebettet. Im Bereich des Pimärsenkers wird das Zellwachstum des Wirtsbaumes angeregt, es kommt zu einer Anschwellung des Zweiges. Mit der Zeit ergibt sich durch die Auflösung von Zellwänden der wasserleitenden Gewebe eine direkte Verbindung mit dem Leitungssytem des Wirtsbaumes und stellt so die Wasserversorgung der Mistel sicher. Zudem entwickeln sich vom Primärsenker Rindenstränge, welche sich parallel oder senkrecht zur Ast-Achse des Wirts entwickeln, in der Rinde verlaufen und netzartig ausbreiten. An diesen Rindensträngen entstehen jährlich weitere Sekundärsenker, welche ebenfalls vom Holz des Wirts umwachsen werden. Mit der Zeit entwickeln sich weitere Sekundärtriebe.
Die Fotos entstanden im Raum Duisburg und Düsseldorf. Aus den Bildunterschriften ist der genauere Standort ersichtlich. Viele Wirts-Bäume weisen einen extrem starken Mistel-Befall auf. Anhand heruntergebrochener und mit Misteln befallener Äste war es leicht, Nahaufnahmen zu machen.
Jürgen Dahl, Buchhändler, freier Schriftsteller und Journalist, verfasste zahlreiche Beiträge für Zeitschriften und Rundfunk. Er schrieb etliche Kolumnen und Bücher über umweltgerechtes Gärtnern, Ökologie und Naturschutz. Mit Günter Diamant, einem Dendrologen und Gärtner vom Niederrhein, verband ihn eine Freundschaft. Diese Freundschaft war geprägt durch den Austausch von Wissen über Gehölz- und Pflanzenkunde sowie umweltgerechtes Gärtnern. So war es wohl mehr als nur eine Freundschaftsgeste, als Jürgen Dahl in der Mitte der 80-er Jahre einen Mistelsamen auf einem Apfelbaum von Günter Diamant ansalbte. In einer Bilderfolge aus dem Buch "Nachrichten aus dem Garten" von Jürgen Dahl ist eine solche Ansalbung dokumentiert. Das letzte Foto (H.Kuhlen) zeigt die gelungene Ansalbung des Mistelbusches im Jahre 2017. Beide Herren sind mittlerweile verstorben, Jürgen Dahl 2001 und Günter Diamant 2018. Der prächtig gewachsene Mistelbusch erinnert an den regen Gedankenaustausch, das gemeinsame Wirken und an ihre Freundschaft.
Die Farbe der Rinde an jungen Zweigen wechselt von gelbgrün (einjähriger Trieb) zu sattgrün (zwei- und mehrjährige Triebe) und kann daher über Jahre hinweg Photosynthese betreiben. Eine Borken-Bildung an älteren Zweigen ist nicht gegeben, es setzt lediglich eine Farbänderung in Graugrün ein. Ansonsten ist die Rinde glatt.
Die Blätter der Mistel sind immergrün und weisen eine hohe Variabilität in Form und Größe auf. Sie sitzen ungestielt und in gegenständiger Anordnung an den Enden der Sprossachsen. Die Form wechselt von elliptisch bis verkehrt-lanzettlich oder verkehrt-eiförmig mit einer stumpf abgerundeten Spitze. Die Länge schwankt zwischen 2,5 und 7 Zentimetern und einer Breite von 0,5 bis 3 Zentimeter. Blattoberseite und die Unterseite sind derb lederig und im Unterschied zu anderen Laubblättern gleichartig ausgebildet. Es gibt also keine ausgeprägten Ober- und Unterseiten. Es findet keine Ausrichtung nach der Sonne statt. Spaltöffnungen, welche dem Gasaustausch dienen, finden sich eingesenkt auf beiden Seiten des Blattes. Der Blattrand ist ganzrandig, bis zu fünf Blattadern verlaufen parallel und sind kaum netzartig ausgebildet. Aufgrund der Transpiration fühlen sich die Blätter kühl an. Die Blätter verbleiben mindestens 1,5 bis 4 Jahre an den Trieben, bevor sie im Spätsommer noch grün abfallen.
Misteln sind zweihäusig (diözisch), d.h., es gibt nur weibliche oder nur männliche Blüten. Erst ab dem fünften Lebensjahr der Mistel kommt es zur Blütenbildung. Die Blüten sind relativ unscheinbar und entwickeln sich zu drei bis fünf Blüten in den obersten Blattachseln und stehen dann in Knäueln beisammen. Ältere, in Vollblüte stehende Mistel-Büsche bieten aufgrund der Vielzahl gelber Blüten (auch die Rinden-Farbe hellt sich in der Blüh-Phase von Sattgrün zu Gelbgrün auf) ein interessantes Farbspiel. In Abhängigkeit von der Witterung beginnt die Blütezeit ab Mitte Januar/Februar und endet im Mai. Die Staubbeutel der männlichen Blüten verströmen mit dem Entlassen der Pollen einen deutlich wahrnehmbaren Duft, welcher vorrangig bestäubende Insekten anlockt.
Von der Blüte im Winterhalbjahr (Februar) bis zur Frucht-Reife der Beeren im Dezember vergehen zirka 9 bis 10 Monate. Die dann erscheinenden, einsamigen Beeren erinnern in Größe und Farbe an weiße Johannisbeeren. Die weiße Fruchthülle ist leicht transparent und mit zarten Streifen versehen. Der im weißen, schleimigen Fruchtfleisch (Pulpa) eingebettete Samen (Embryo mit dem Nährgewebe) ist grün. Für sein Überleben ist er auf Licht angewiesen, welches die durchscheinende Fruchthülle durchdringt. Der Samenkern liegt nackt, ohne Samenschale ungeschützt im schleimigen Frucht-Gewebe. Das gesamte Gewebe ist durch und durch grün, man kann den Samen durch das Fruchtfleisch grünlich durchschimmern sehen. Ein Same enthält bis zu vier Keime, welche sich alle zu einer selbständigen Mistel entwickeln können. Nach der Vollreife im Dezember verbleiben die Beeren auf dem Mistel-Strauch, bis sie von Vögeln gefressen werden oder im Laufe des nächsten Jahres zu Boden fallen. Die Beeren können ohne ein Anzeichen von Zerfall über mehr als ein Jahr in einer Art Reife-Starre verharren. Sobald die Mistel-Samen auf Äste und Zweige des Wirts-Baumes fixiert sind, beginnt die Keimung.
Sie unterscheidet sich in fast allen Merkmalen von einer normalen Pflanze:
Sie wächst als „Epiphytischer Halbparasit“ nicht in der Erde, sondern nur auf Bäumen und Sträuchern.
Sie hat keine Wurzeln, sondern nur „Senker“ mit denen sie sich im Holz des Wirts-Baumes verankert. Über den Senker wird die Mistel von ihrem Wirts-Baum mit Wasser und Nährstoffen versorgt.
Die Mistel betreibt mit Hilfe des Chlorophylls in den Blättern und den grünen Stängeln Photosynthese, sie baut eigene organische Stoffe auf.
Die Mistel verhält sich in Wachstum und Frucht-Reife entgegengesetzt zu den meisten anderen Pflanzen. Im Winter ist ihre Wachstums- und Regeneration-Phase. Sie ruht im Sommer und Herbst. Sie blüht von Februar bis April und trägt ab November /Dezember Früchte.
Entgegen normalen Laubblättern besitzen Mistel-Blätter keine ausgeprägten Ober- oder Unterseiten. Sie richten sich nicht nach der Sonne aus. Spaltöffnungen befinden sich auf beiden Seiten der Blätter.
Die Blätter sind immergrün und verbleiben anderthalb bis drei Jahre an den Zweigen. Die Grünfärbung ist durchgängig vom Samen, Keimling, Spross-Blatt, Stängel, Stamm bis zur Rinde.
Jedes Blatt besitzt eine Spiral-Tendenz in seiner Haltung und eine andersartige Stellung zum Zweig.
Es gibt keinen Welke-Prozess.
Es kommt nicht zur Borken-Bildung.
Die Mistel ist nicht in der Lage, Kallus zu bilden, um damit eigene Wunden zu schließen.
Die Mistel macht in ihrer Gesamtheit den Blüh-Prozess mit, indem sie ihre grüne Farbe gelb aufhellt.
Die Mistel-Büsche sind bis in ihr Zentrum lebendig, grün und vegetativ tätig.
Blätter und Zweige sind am Spross wie ein Gelenk angesetzt und brechen dort leicht ab.
Blüten bilden sich erst nach fünf bis sieben Jahren.
Das Wachstum ist extrem langsam, nach dem Keimen bildet sie erst im zweiten Jahr 2 Blätter aus. Die ersten Senker sind lichtscheu.
Der Samen mit dem Embryo ist grün und auf Licht zum Überleben angewiesen.
Keimung erfolgt nur bei Licht, Verdunkelung nimmt dem Mistel-Samen die Keim-Kraft.
Verbreitung besorgen allein die Vögel.
Die Mistel wächst in alle Himmelsrichtungen auch nach unten, unabhängig von Licht und Schwerkraft, so dass sie letztlich eine kugelige Gestalt annimmt. Sie entfaltet sich also frei von Geotropismus und Heliotropismus.
Das gibt es bei keiner anderen Pflanze.